Porträt

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Ganz am Anfang war Sabine Kreutzer eine Schulleiterin ohne Schule – ohne Kollegium, ohne Stundenplan, ohne Konzept und vor allem ohne Schülerinnen und Schüler. „Hier war ja nichts“, sagt Sabine Kreutzer, wenn sie an die Anfänge der Bonner Marie-Kahle-Gesamtschule vor elf Jahren zurückdenkt. Damals wollten die Eltern eine vierte Gesamtschule eröffnen, das Land lehnte ab, doch die Stadt klagte erfolgreich. „Als Bonnerin habe ich die Entwicklung mitverfolgt und immer gedacht, das wird doch nichts, das schafft keiner“, erzählt sie. Zu diesem Zeitpunkt war Sabine Kreutzer Abteilungsleiterin an einer Gesamtschule im Nachbarort Bornheim und spielte mit dem Gedanken, eines Tages vielleicht selbst Schulleiterin zu werden.

Plötzlich ging alles ganz schnell. „Ich habe den Anruf von der Bezirksregierung bekommen, bin nach Bonn-Castell gefahren, habe mir das Grundstück angesehen und realisiert, dass sich genau an dieser Stelle das Römerlager befunden hat“, sagt Sabine Kreutzer, die Lateinlehrerin ist. Bonns Geschichte reicht weit zurück bis in die römische Zeit. Vor mehr als zweitausend Jahren errichteten die Römer ein Lager im Gebiet des heutigen Stadtteils Bonn-Castell, in dessen Zentrum die Marie-Kahle-Gesamtschule liegt. „Dann habe ich gesagt: Ja, gut, ich mache das jetzt. Innerhalb von zwei Tagen war ich kommissarische Schulleiterin“, so Sabine Kreutzer.

Seitdem hat die Marie-Kahle-Gesamtschule einen erstaunlichen Schulentwicklungsprozess durchlaufen. „Wir hatten die Chance des völlig freien Spielfelds. Das haben wir genutzt. Es gab ja nichts, was wir schon immer genau so gemacht haben“, sagt Sabine Kreutzer. Angefangen haben sie zunächst zu sechst mit vier Klassen im Schuljahr 2009/2010. Schnell wuchs das Kollegium, viele Lehrkräfte mit großen Träumen wollten an die Marie-Kahle-Gesamtschule. „Obwohl sie wussten, dass sie bei uns unglaublich viel arbeiten müssen, weil wirklich gar nichts fertig war. Das hat sie nicht abgehalten“, erzählt die Schulleiterin.

Einer, der diesen Prozess fast von Anfang an begleitet hat, ist Daniel Maas. Direkt nach seinem Referendariat stieg er als Klassenlehrer für die sechste Klasse ein. Daniel Maas unterrichtet Mathematik und katholische Religionslehre, ist zuständig für den IT-Bereich und gehört zum Organisationsteam, das unter anderem die Stundenpläne entwickelt. „Wir haben damals 200 Prozent gegeben und hatten auch Bock darauf“, erzählt er. Auf Dauer sei das nicht zu stemmen gewesen. Doch als die Erstarbeit abgehakt war und routinierte Lehrkräfte das Team mit ihren Erfahrungen und Ideen ergänzten, konnte das Kollegium seine Energien anders bündeln. „Wir haben es geschafft, uns so zu strukturieren, dass über die Jahre ein organisches Ganzes entstanden ist“, sagt die Schulleiterin. Dabei habe sie auch aus Fehlern gelernt. Anfangs habe sie ihre Rolle so verstanden, dass sie möglichst viel kontrollieren muss: „Ich habe schnell gemerkt, dass das Unsinn ist. Ich bin selbst die größte Bremse in meinem System, wenn alles über mich laufen muss.“ Seither setzt Sabine Kreutzer auf Vertrauen und verteilt Zuständigkeiten: „Wenn jemand zu mir kommt und sagt, wir brauchen unbedingt Schulsanitäter, dann antworte ich: Okay, was benötigst du, damit du das machen kannst?“

Das gilt für die gesamte Schulgemeinschaft. Beim „Schulentwicklungsbasar“ können Eltern und Schülerschaft gemeinsam mit der Schulleitung und dem pädagogischen Team Ideen sammeln, um den Ist-Zustand zu verbessern. Sobald sich für eine Idee zwei Interessierte gefunden haben, die das Vorhaben umsetzen wollen, wird ein entsprechender Arbeitskreis gegründet. Der Arbeitskreis „Fridays for Future“ beispielsweise wünscht sich mehr Klimaneutralität im Schulalltag. „Die Schulkonferenz hat daraufhin die Benutzung von Einweggeschirr verboten. Wir kaufen jetzt Geschirr mithilfe des Förderkreises“, erklärt Sabine Kreutzer und ergänzt: „Die Rollen verkehren sich. Die Schulleitung hilft bei der organisatorischen Umsetzung, die Ideen kommen von anderen. Es macht die Kinder selbstbewusst, wenn sie solch einen Arbeitskreis leiten.“

Auch den Namen der Schule haben die Kinder und Jugendlichen mit ausgewählt. Die Lehrerin Marie Kahle unterstützte während der Zeit des Nationalsozialismus jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger in Bonn, bevor sie mit ihrer Familie nach London emigrierte. „Unsere Namensgeberin hält uns dazu an, in kleinen Dingen groß zu sein. Respekt und Freundlichkeit liegen uns am Herzen“, sagt Sabine Kreutzer.

Dem kann Lina nur zustimmen. „Wir haben ein großes, buntes Miteinander. Das schätze ich sehr“, sagt die 15-jährige Schülerin der zehnten Klasse. Seit der sechsten Klasse engagiert sich Lina in der Schülervertretung, seit einigen Jahren ist sie sogar Schülersprecherin. Es motiviert sie, ihre Schule aktiv mitgestalten zu können: „Wir haben in der Schulkonferenz, unserem obersten Gremium, genauso viele Plätze wie die Lehrkräfte und Eltern und können bei allen Entscheidungen mitreden.“ Besonders viel Spaß machen ihr Projekte wie die Nikolaus-Aktion. Dann verkauft die Schülervertretung Nikoläuse aus Fair-Trade-Schokolade – „Schließlich sind wir eine Fair-Trade-Schule!“ – an Schülerinnen und Schüler, die diese weitergeben können. „Die Aktion sorgt jedes Mal für ein großes Hallo. Darin sehen wir auch unsere Aufgabe als SV. Wir sind dafür da, dass die Schülerinnen und Schüler einen schöneren Schulalltag haben und gern hierherkommen“, sagt Lina.

Für Lina war nach der Grundschule klar, dass sie auf eine Gesamtschule gehen möchte. Ihr ist es wichtig, dass alle Kinder gemeinsam lernen. Mehrere Schulen standen zur Auswahl, doch erst die Marie-Kahle-Gesamtschule mit ihrem Dalton-Konzept hat sie und ihre Eltern überzeugt. Ziel der Dalton-Pädagogik ist es, dass die Lernenden sich den Unterrichtsstoff weitestgehend selbst aneignen – etwas, das Lina sehr gut liegt: „Ich arbeite gern für mich. Ich mag es, auf diesem Weg mehr Abwechslung im Unterricht zu haben. Man muss nicht immer nur dem Lehrer zuhören, sondern hat regelmäßig Phasen, in denen man sich selber organisieren muss.“

An der Marie-Kahle-Gesamtschule zieht sich Dalton wie ein roter Faden durch den Schultag. Zweimal täglich finden die Dalton-Stunden statt. Dann stehen alle Türen offen, und die Lernenden können sich selbst aussuchen, was sie wo mit wem bearbeiten. Lehrer Daniel Maas ist bis heute fasziniert davon, Dalton in der Praxis zu beobachten: „Es werden neue Interaktionen möglich, Unterricht findet ganz anders statt – wenn zum Beispiel Kinder aus der fünften und der dreizehnten Klasse zusammen in einem Fachraum sitzen und plötzlich der Abiturient den Jüngeren fragt, warum er sich gerade mit diesem Experiment beschäftigt.“

Auch bei der Inklusion, für deren vorbildliche Umsetzung die Marie-Kahle-Gesamtschule letztes Jahr mit dem Jakob Muth-Preis ausgezeichnet wurde, wird auf die Dalton-Pädagogik gesetzt. „Das heißt: Lernen gelingt umso erfolgreicher, je besser die Parameter zum Kind passen“, erklärt Sabine Kreutzer. Konkret bedeutet das, dass Schülerinnen und Schüler, die zum Beispiel in Mathematik eine besondere Förderung brauchen, vorübergehend das Lernzentrum besuchen und in einer kleinen Gruppe an einem speziellen Thema arbeiten, das ihnen Schwierigkeiten bereitet. „Wenn sie möchten, können sie auch einen Freund in das Lernzentrum mitnehmen. Sobald sie mit dem Stoff zurechtkommen, verlassen sie das Lernzentrum wieder“, sagt Sabine Kreutzer und ergänzt: „Bei uns gibt es keine Förderzuweisungen. Ich bin überzeugt davon, das bringt nichts. Kinder nehmen Bildungsbegrenzungen wahr und ruhen sich vielleicht darauf aus.“

Viel lieber möchte Sabine Kreutzer, dass ihre Schülerinnen und Schüler zu träumen wagen – von Berufen, die sie eines Tages ausüben wollen, und Erfolgen, die sie sich für ihre Zukunft wünschen. „Wir wollen Kinder stark machen“, sagt sie. Das gelingt der Marie-Kahle-Gesamtschule: Viele Schülerinnen und Schüler, die mit Hauptschulempfehlung und ohne Perspektive hierherkamen, schaffen das Abitur. Besonders stolz ist Sabine Kreutzer auf zwei syrische Flüchtlinge, die 2015 ohne Deutschkenntnisse an die Schule kamen und jetzt ihr Abi machen – auch dank der Unterstützung ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler. Sabine Kreutzer weiß: „Zusammen kriegen wir das hin.“

Deutscher Schulpreis 2020: Preisträger Marie-Kahle-Gesamtschule

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Abdul ist Mitte zwanzig, als er im Sommer 2015 mit seiner Mutter und seinen zwei kleinen Schwestern aus Afghanistan nach Deutschland flüchtet. Drei Monate lebt die Familie in einer Notunterkunft, bis sie am 1. Oktober endlich in ihr eigenes Zuhause in das südniedersächsische Dorf Greene ziehen kann. „Gleich am nächsten Morgen bin ich zur Bushaltestelle gegangen, ohne zu wissen, wann der nächste Bus kommt“, erzählt Abdul. Doch er hat Glück: Schon nach einer halben Stunde hält der erste Bus. Deutsch kann Abdul zu diesem Zeitpunkt noch nicht sprechen, dafür beherrscht er die englische Sprache fließend. „Ich habe dem Busfahrer erklärt, dass ich gern in eine Stadt fahren möchte“, erinnert er sich. Zwanzig Minuten später steigt Abdul in Einbeck aus und spricht ein paar Leute an: „Wo finde ich hier eine Schule, damit ich Deutsch lernen kann?“ Eine alte Frau hilft ihm und gibt ihm die Adresse der BBS Einbeck.

Die Abkürzung BBS steht für Berufsbildende Schulen. An der BBS Einbeck lernen rund 1.300 Schülerinnen und Schüler in mehr als 60 Klassen. Sie können in den vier Abteilungen „Berufliche Gymnasien und Pflanzentechnologie“, „Farbtechnik und Gestaltung“, „Sozialpädagogik – Pflege – Hauswirtschaft“ sowie „Wirtschaft und Informatik“ jeden schulischen Bildungsabschluss machen. Der Ausbildungsgang Pflanzentechnologie ist in Deutschland einzigartig. Schülerinnen und Schüler aus allen Bundesländern kommen für den schulischen Teil dieser dualen Berufsausbildung in die Kleinstadt, die nur wenige Kilometer westlich vom Harz liegt.

Abdul folgt dem Rat der alten Dame und geht zur Schule. Dort trifft er im Sekretariat auf Renatus Döring, den Schulleiter. Der nimmt sich Zeit für Abdul, hört sich seine Geschichte an, lässt sich die Zeugnisse zeigen und spricht mit Kathrin Düvel. Sie leitet die Abteilung „Sozialpädagogik – Pflege – Hauswirtschaft“ und ist zuständig für die erst vor einem Monat neu gegründete Sprachförderklasse für zugewanderte Jugendliche und junge Erwachsene. „Herr Döring hat dann zu mir gesagt: Sie müssen bitte heute sofort in die Klasse gehen. Nicht nächste Woche, nicht übermorgen. Jetzt!“, erzählt Abdul und fügt hinzu: „Ich habe noch am selben Tag mit dem Deutschunterricht angefangen.“

Renatus Döring ist bereits seit 2001 Mitglied der Schulleitung an den Berufsbildenden Schulen Einbeck, seit 2011 leitet er die Einrichtung. Für ihn ist es selbstverständlich, zu helfen: „Das machen wir sowieso. Wann immer es geht, setzen wir uns für unsere Schülerinnen und Schüler ein.“ Deshalb gehört eine fest angestellte Schulsozialarbeiterin zum Kollegium. Sie berät die Lernenden in privaten, familiären und psychosozialen Notsituationen und unterstützt die Schule bei der Entwicklung von Präventionsprojekten oder Angeboten zur Berufsorientierung. Außerdem kooperiert die BBS Einbeck mit zahlreichen Netzwerkpartnern, um ihren Schülerinnen und Schülern bestmöglich zur Seite zu stehen. Jährlich veranstaltet die Schule eine „Beratungsstellenmesse“. Dann können sich die Jugendlichen und jungen Erwachsenen über Unterstützungsmöglichkeiten in den verschiedensten Notlagen informieren.

Die Schülerin Sharice hat in der Vergangenheit schon mehrfach vom engmaschigen Hilfsnetz profitiert. „Hier geht wirklich jeder auf jeden ein und gibt die nötige Unterstützung“, sagt die 20-Jährige. Sie wollte sich nach ihrem erweiterten Realschulabschluss für das Abitur mit dem Schwerpunkt Sozialpädagogik am Beruflichen Gymnasium anmelden. „Ein Lehrer vom Fachbereich Wirtschaft hat mich beraten und mir die Heilerziehungspflege empfohlen. Ich wusste gar nicht, dass es das gibt, dabei passt es perfekt zu mir“, erzählt Sharice. Sie ist inzwischen im dritten Jahr, im Sommer will sie die Fachschule Heilerziehungspflege erfolgreich abschließen. „Wenn alles gut geht, habe ich danach sogar schon meinen ersten Job sicher und kann bei der Lebenshilfe anfangen“, sagt Sharice. Im kommenden Jahr möchte sie parallel mit dem Fernstudiengang „Sozialpädagogik & Management“ beginnen, den die BBS Einbeck in Kooperation mit der Bielefelder Fachschule des Mittelstands ab Oktober 2020 erstmalig anbietet.

Die individuelle Unterstützung ist nur ein Aspekt von vielen, die für Sharice die BBS Einbeck zu einer ganz besonderen Schule machen. Obwohl die Schule so groß sei, fühlt sie sich „total vertraut“ an. „Ich habe viele Freunde und Bekannte auch in den anderen Abteilungen. Sogar zum Schulleiter haben wir ein gutes Verhältnis. Herr Döring kennt viele von uns persönlich. Ich schätze das freundliche Auftreten der Schule sehr“, sagt Sharice. Sie ist stolz darauf, dass sich die BBS Einbeck am Projekt „Humanitäre Schule“ beteiligt hat. Ziel der Kampagne ist es, dass Jugendliche soziale Verantwortung übernehmen – das liegt auch Sharice am Herzen. Deshalb hat sie zusammen mit anderen Schülerinnen und Schülern der Heilerziehungspflege das „BBS Outlet“ konzipiert. „Vielen von uns fehlen die finanziellen Möglichkeiten, neue oder moderne Kleidung zu kaufen. Deshalb hatten wir die Idee zu einer Kleiderbörse“, erklärt Sharice und ergänzt: „Wegen der Corona-Krise mussten wir die Eröffnung verschieben. Ich hoffe, es kann im nächsten Schuljahr losgehen.“

Renatus Döring ist offen für neue Ideen wie diese. Seit 2003 verfolgt die BBS Einbeck den Anspruch, Schule und Unterricht maßgeblich aus der Perspektive der Lernenden zu entwickeln. Diese Haltung spiegelt sich auch im Grundsatz „Die Schülerinnen und Schüler im Fokus, das Kollegium im Blick“ wider. „Es dreht sich alles um die Lernenden. Guter Unterricht muss so gestaltet sein, dass auch die Schülerinnen und Schüler damit zufrieden sind“, erklärt der Schulleiter. Um das zu gewährleisten, setzen er und sein Kollegium auf ein für viele Schulen ungewöhnliches Instrument: Schülerinnen und Schüler geben ihren Lehrkräften einmal pro Jahr ein personenbezogenes Feedback. Die Ergebnisse bleiben nicht nur bei der Lehrkraft, sondern werden mit den Lernenden besprochen und gehen auch an die Schulleitung. „Das ist ziemlich einmalig in Deutschland, ich kenne keine Schule, die ähnlich vorgeht“, sagt Renatus Döring. Die Rückmeldungen werden dann mit der zuständigen Abteilungsleitung besprochen. Renatus Döring legt Wert darauf, dass es bei diesen Gesprächen nur um zwei Ziele geht: „Gute Arbeit soll anerkannt werden. Wir wollen guten Unterricht loben. Das können wir bestimmt in vier von fünf Fällen. Wenn aber Unterricht nicht gut gelingt und es Schwierigkeiten gibt – häufig in der Beziehungsgestaltung –, dann schauen wir zusammen mit der Lehrkraft, wie wir sie unterstützen können und die Zufriedenheit der Schülerinnen und Schüler steigt.“

Bereits 2017 hatte sich die BBS Einbeck um den Deutschen Schulpreis beworben. Sie schaffte es auf Anhieb unter die TOP 20 und damit in das zweijährige Entwicklungsprogramm, das jedes Jahr bis zu 20 Schulen unterstützt und begleitet. „Dabei haben wir unser Bild von ,gutem Unterricht‘ wieder weiterentwickelt. Wir wollen noch stärker differenzieren, individualisieren und kompetenzorientierter unterrichten“, erklärt Renatus Döring.

Auch Abdul hat sich seit seinem ersten Besuch im Sekretariat der BBS Einbeck weiterentwickelt: Ein halbes Jahr lang lernte er in der Sprachförderklasse intensiv Deutsch, im April 2016 erhielt er sein Deutsch-Zertifikat B1, das ihm eine selbstständige Verwendung der deutschen Sprache bescheinigt. Ein zweiwöchiges Praktikum bei einem Einbecker Betrieb folgte, danach kam Abduls große Chance: ein Vorstellungsgespräch für eine duale Ausbildung zum Industriekaufmann. „Ab dem 1. August 2016 war ich also Azubi, kein Jahr nachdem ich in Deutschland angekommen bin“, erzählt der inzwischen 31-Jährige stolz. Vor allem der schulische Teil der Ausbildung war für ihn eine große Herausforderung. „Obwohl ich in meiner Heimat BWL auf Englisch studiert habe, war es schwer für mich, die vielen Fachbegriffe zu verstehen. Wenn die Klasse an Aufgaben gearbeitet hat, kam die Lehrerin zu mir und erklärte den Stoff in Ruhe. Manchmal haben wir dafür auch einen Extra-Termin in den Pausen vereinbart“, sagt er. Die Mühe und Unterstützung hat sich ausgezahlt: Abdul bestand seine Ausbildung und arbeitet heute erfolgreich als Industriekaufmann.

 

Deutscher Schulpreis 2020: Preisträger BBS Einbeck

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Hässlich, desolat, marode, extrem schief, gruselig – die Attribute, mit denen Mitglieder der Schulgemeinschaft das schwarz gestrichene Gebäude des Gymnasiums Essen Nord-Ost beschreiben, klingen vernichtend. Vor zwei Jahren feierte die Schule ihr 50-jähriges Jubiläum, und tatsächlich hat die Zeit Spuren hinterlassen. Der Boden ist infolge des unterirdischen Steinkohleabbaus in der Region deutlich abgesenkt. Das in den 1970er-Jahren erbaute Schulhaus „weist zahlreiche Schadensbilder auf und entspricht weder den heutigen energetischen noch den pädagogischen Anforderungen“, heißt es in einer Ausschreibung der Stadt Essen, die das alte Gebäude abreißen und direkt daneben einen Neubau errichten will.

Das sind gute Nachrichten für Schulleiter Udo Brennholt: „Wir konnten bei der Planung mitreden. Künftig werden wir zum Beispiel Differenzierungsräume und Jahrgangshäuser haben. Gut ist, dass der Unterricht im alten Gebäude so lange stattfinden kann, bis der Neubau 2023 fertig ist. Wir müssen nicht übergangsweise in Containern arbeiten, sondern können direkt von Tür zu Tür umziehen. Auch unser schönes Außengelände mit Beachvolleyballanlage und Klettergerüsten soll danach wieder neu angelegt werden – dort, wo sich jetzt noch das Schulhaus befindet.“ Doch eine Sorge treibt Udo Brennholt bei dem Gedanken an den bevorstehenden Umzug um. „Ich möchte unsere gute Atmosphäre nicht verlieren“, sagt er. Schülerin Alexandra kann ihn verstehen. „Unser Schulgebäude macht wirklich viel aus. Wir fühlen uns hier ausgesprochen wohl, und zwar genau so, wie es ist“, erklärt sie. Trotzdem ist sie zuversichtlich, dass es dem Gymnasium gelingen wird, den Spirit der Schule mit in das neue Gebäude zu nehmen: „Was die Schule ausmacht, ist ja nicht das Haus, sondern die Menschen darin.“

Die Menschen darin – das sind über 70 Lehrkräfte sowie rund 850 Schülerinnen und Schüler. 90 Prozent von ihnen kommen aus Familien mit einem Migrationshintergrund. Kinder aus 60 Nationen besuchen das Gymnasium Essen Nord-Ost, kurz GENO. Nur 16 von 111 Eltern der Kinder des fünften Jahrgangs geben an, dass die Familiensprache Deutsch ist. „Wir werden oft gefragt, wie wir an unserer Schule mit dieser Vielfalt umgehen. Das macht mich immer ganz traurig“, sagt Alexandra und ergänzt: „Das klingt so, als wäre es ein Nachteil, mit dem wir zu kämpfen haben. Viel lieber würde ich hören: Sag mal, es muss schön sein, mit so vielen unterschiedlichen Menschen zur Schule zu gehen.“ Denn Alexandra ist stolz auf ihre Schule. „Wir haben unsere eigene, vielfältige Kultur. Das ist eine tolle Sache, denn dadurch haben wir die Möglichkeit, unsere eigene Perspektive zu erweitern, voneinander und fürs Leben zu lernen.“

Sandra Sak sieht das genauso. Sie ist seit 13 Jahren mit der Schule verbunden. Zwei ihrer drei Kinder haben das Abi hier gemacht, ihre jüngste Tochter ist gerade in der sechsten Klasse. Sie kann nicht nachvollziehen, warum manche Eltern wegen der Zusammensetzung der Schülerschaft ihre Kinder lieber auf eines der zwei benachbarten Gymnasien schicken. Gleich vom ersten Tag an wussten Sandra Sak und ihre Familie, dass das Gymnasium Essen Nord-Ost „ihre Schule“ ist: „Vielleicht ist für manche das Äußere der Schule etwas abschreckend, aber sobald man ins Foyer tritt, ändert sich das sofort. Diese Vielfalt! Dieser Frieden! Diese Atmosphäre!“

Sandra Sak setzt sich als Schulpflegschaftsvorsitzende für das Gymnasium ein. Es ist ihr ein Anliegen, die Eltern in die Arbeit der Schule mit einzubeziehen. Die Elternschaft ist so engagiert, dass sich manche Mütter und Väter über die Schulzeit ihrer Kinder hinaus aktiv beteiligen. „Unsere Bibliothek leitet zum Beispiel eine Mutter, deren Kind längst nicht mehr bei uns ist“, sagt Sandra Sak. Sie findet: „Unsere Schule ist ein Zuhause. Wir sind wie eine große Familie.“ Das merkt sie nicht nur durch ihre Arbeit für die Schule, sondern vor allem an ihren Kindern, die ein besonderes Verhältnis zu ihren Lehrkräften haben. „Das ist eine Beziehung auf Augenhöhe“, so Sandra Sak. Das ginge sogar so weit, dass sie manchmal einen Anruf von ihrer Tochter bekommt, die darum bittet, noch länger bleiben zu dürfen. „Mama, ich möchte noch weiter meinen Kürbis schnitzen“, heißt es dann. Bereits seit 1990 bietet das Gymnasium Essen Nord-Ost eine Ganztagsbetreuung und kooperiert seit Kurzem mit der Sport Jugend Essen, um das Angebot zu erweitern.

Auch Alexandra hat sich gleich willkommen gefühlt, als sie vor sechs Jahren ihren ersten Schultag am Gymnasium Essen Nord-Ost hatte. Damals sprach sie kein Wort Deutsch – Alexandra zog 2014 mit ihrer Familie von Griechenland nach Deutschland. „Ich habe mich aus Protest geweigert, die neue Sprache zu lernen. Ich wollte mein Zuhause nicht verlassen“, erzählt sie. Doch die fremde Sprache habe sie fasziniert, und schnell merkte Alexandra, dass sie Deutsch sprechen muss, um in der neuen Heimat zurechtzukommen. „Mir blieb dank meiner Mitschülerinnen und Mitschüler auch nichts anderes übrig. Sie haben sich geweigert, mit mir Englisch zu reden, damit ich möglichst schnell Deutsch lerne“, sagt sie und lacht. Die Klasse sei ihr eine große Hilfe gewesen. „Doch besonders der Deutsch-Intensivunterricht hat mich vorangebracht“, sagt Alexandra.

Schon zehn Jahre zuvor hat sich das Gymnasium Essen Nord-Ost auf Kinder ohne oder mit nur geringen Deutschkenntnissen spezialisiert. „Wir haben uns zu Experten in diesem Gebiet entwickelt. Als dann 2015 die Flüchtlingskrise kam, waren wir sehr gut vorbereitet“, erklärt Schulleiter Udo Brennholt. Anfangs waren diese Schülerinnen und Schüler alle in einer eigenen Klasse und wurden besonders gefördert. Mittlerweile sind sie über alle Klassen verteilt. Mit ungefähr 20 Unterrichtsstunden pro Woche werden die Kinder gezielt in der deutschen Sprache unterrichtet, Fächer wie Musik und Sport haben sie aber in ihrer Klassengemeinschaft. „So gehören sie von Anfang an dazu“, sagt Udo Brennholt. Er ist stolz auf die vielen Kinder, die in der fünften oder sechsten Klasse ohne Deutschkenntnisse zu ihnen kommen und dann später mit einer Eins das Abitur abschließen.

Alexandra lernte so erfolgreich, dass sie nach wenigen Monaten den Intensivkurs beendete, um zusätzlich Latein zu lernen. „Die anderen Kinder waren mir sieben Lektionen voraus. Ich konnte den Rückstand aber aufholen“, erzählt Alexandra. Im vergangenen Schuljahr bestand Alexandra ihr Latinum mit „summa cum laude“ – der höchsten Bewertung – als einzige in ihrer Klasse. Ihre Noten in Deutsch sind gut bis sehr gut.

Trotzdem bleibt Alexandra genug Zeit für ihr Amt als Schülersprecherin. „Die Schülervertretung spielt eine große Rolle bei uns. Im Prinzip hängen wir überall mit drin. ‚Selbstbestimmt leben, nachhaltig lernen, mitgestalten‘ heißt unser Motto, das sich an das Schulleitbild ‚Leben – Lernen – Gestalten‘ anlehnt“, sagt sie. Das Gymnasium Essen Nord-Ost versucht, seine Schülerinnen und Schüler in die Verantwortung zu nehmen und Selbstbewusstsein aufzubauen. „Die SV initiiert viele Projekte. Die Veranstaltungsreihe ‚GENO spricht …‘ ist ein bemerkenswertes Beispiel dafür“, sagt Udo Brennholt. Für dieses Format lädt die SV Gäste zu öffentlichen Gesprächsrunden ein, um die politische und gesellschaftliche Bildung der Schülerinnen und Schüler voranzutreiben.

Immer wieder ist Udo Brennholt auch vom Achtsamkeitstraining beeindruckt. Die Kinder der fünften Klasse üben dabei zum Beispiel, mit geschlossenen Augen und ohne zu reden ein bis zur Oberkante gefülltes Glas weiterzureichen, ohne Wasser zu verschütten. „Die Kinder lernen so, sich auf den Unterricht zu fokussieren. Das Projekt wurde wissenschaftlich begleitet, und tatsächlich lässt sich nachweisen, dass der Stresspegel signifikant sinkt“, erklärt der Schulleiter.

Als sich das Gymnasium Essen Nord-Ost 2017 für den Deutschen Schulpreis beworben hatte, schaffte es die Schule unter die TOP 20 und bekam damit einen Platz im zweijährigen Entwicklungsprogramm, das jährlich bis zu 20 Schulen unterstützt und begleitet. „Wir haben daran gearbeitet, unsere Schwerpunkte stärker herauszustellen und einen roten Faden für unsere vielen Projekte zu finden“, sagt Udo Brennholt. Und dabei haben sie gemerkt, dass es ganz gut ist, was sie am GENO machen.

Deutscher Schulpreis 2020: Preisträger Gymnasium Essen Nord-Ost

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„Ihr könnt euch schon mal da hinten versammeln, da geht es gleich richtig ab!“, ruft Volker Arntz ins Mikrofon. Auf diese Ansage haben seine Zuhörerinnen und Zuhörer nur gewartet – sofort wenden sich die vielen Kinder und Jugendlichen von ihm ab und strömen jubelnd in die andere Richtung zu der großen, schwarzen Maschine, die sicher an den Stahlträgern eines Glasdaches befestigt ist. Einen Knopfdruck später beginnt das Ungetüm, schneeweißen, dichten Schaum zu spucken. Endlich geht die Party los! Innerhalb weniger Minuten ist der graue Steinboden von einem Schaumteppich bedeckt. Wer hier feiert, wird nass. Die meisten Gäste drängen sich direkt unter den Schaumschwall oder schieben sich gegenseitig in die riesige Schaumwolke. Dabei juchzen sie so laut, dass sie fast die Musik übertönen, die der DJ auflegt. „There’s no place I’d rather be“, wummert es aus den Boxen. Es gibt keinen Ort, an dem ich lieber wäre.

Volker Arntz, der Mann am Mikrofon, ist Rektor der Hardtschule im baden-württembergischen Durmersheim in der Nähe von Karlsruhe. Die Partygäste sind seine Schülerinnen und Schüler, die auf dem Schulhof zusammen mit der Schulleitung und den Lernbegleiterinnen und Lernbegleitern „School’s out“ – den letzten Tag vor den Sommerferien – feiern. Feste wie diese gehören zum Alltag der Gemeinschaftsschule.

Doch die Schule kennt andere Zeiten. Angefangen hatte die Einrichtung vor über 30 Jahren als Hauptschule und war lange Zeit dreizügig. Als Volker Arntz 2011 als Schulleiter nach Durmersheim kam, war die Hardtschule eine Werkrealschule und stand kurz vor der Schließung. Die Schülerzahlen sanken dramatisch, es gab nur noch einen Zug pro Jahrgang. Die Schulleitung stand vor einer schwierigen Entscheidung: „Entwickeln oder abwickeln“, erinnert sich Volker Arntz an die Anfänge. Gemeinsam mit dem Kollegium entschied er sich für einen radikalen Schulentwicklungsprozess. Den ersten großen Schritt setzte das Team innerhalb von zwei Jahren um und wandelte die Hardtschule zur Ganztagsschule für alle Schülerinnen und Schüler von der ersten bis zur zehnten Klasse um. Seitdem können die rund 460 Lernenden aus über 70 pädagogischen Zusatzangeboten wählen: Klettern, Cheerleading und Robotik gehören ebenso dazu wie eine Schülerzeitung oder Theater. Das zahlte sich aus. 2013 war die Hardtschule bereits enorm gewachsen: Mehr pädagogisches Personal und vor allem wieder mehr Schülerinnen und Schüler zählten zur Schulgemeinschaft.

Da hatte Volker Arntz längst das nächste Ziel im Blick: Er wünschte sich einen Neustart für die Hardtschule als Gemeinschaftsschule. Gemeinschaftsschulen sind eine noch junge Schulform in Baden-Württemberg, in der alle Schülerinnen und Schüler auf drei verschiedenen Niveaustufen gemeinsam lernen. „Die Gemeinschaftsschule ermöglicht uns eine bessere Durchmischung der Schülerschaft“, erklärt Volker Arntz. Doch für seine Pläne musste die Hardtschule mit Widerständen kämpfen: Der Bürgermeister verwehrte seine Unterstützung, die Realschule demonstrierte gegen das Vorhaben. Statt einzuknicken, glaubte die Schule weiter an die Zukunft als Gemeinschaftsschule. Schulleitung, Kollegium, Eltern und Lernende entwickelten zusammen in Workshops das Konzept „Unsere Vision einer Gemeinschaftsschule“ – und überzeugten damit den Gemeinderat.

Doch nur die Schulform zu ändern, reichte der Hardtschule nicht aus. Das Kollegium notierte auf rund 300 Klebezetteln, was vermeintlich zu Schule gehört, und prüfte, welche Elemente wirklich notwendig sind, damit jedes Kind individuell und erfolgreich lernen kann. Denn dieses Ziel steht im Mittelpunkt aller Bemühungen der Hardtschule. „Wir denken das System Schule vom Kind her“, erklärt Volker Arntz. Das Ergebnis des „Zettel-Checks“: Zwei Drittel der Post-its landeten im Müll und verschwanden damit auch aus dem Schulalltag. „Der Gong? Brauchen wir den zum erfolgreichen Lernen? Nein? Weg damit!“, erklärt Volker Arntz die Vorgehensweise an einem Beispiel. Auch der Zettel „Noten“ wurde deshalb entsorgt. Stattdessen arbeitet die Hardtschule mit Kompetenzbeurteilungen. Erst in der Prüfungsklasse gibt es Noten. Konsequent trennte sich die Hardtschule von tradierten Methoden und bleibt seither offen für alternative Konzepte und Innovationen. Eine davon ist der „Fit-Button“ für Lernende der Sekundarstufe, die vorbildlich arbeiten und lernen. Der Fit-Button ermöglicht ihnen mehr Freiheit wie die freie Auswahl des Arbeitsortes oder das individuelle Gestalten von Pausen.

Als Christoph Traut vor etwas mehr als vier Jahren direkt nach seinem Referendariat an einer Realschule in Rheinland-Pfalz nach Durmersheim kam, war die Hardtschule noch mitten im Umbruch. „Das war mein großes Glück. Ich konnte unverbraucht an der Umgestaltung des Systems mitarbeiten“, erzählt der 31-Jährige. Für ihn war vieles neu. „Das Konzept der Gemeinschaftsschule kannte ich überhaupt nicht“, erinnert er sich. Auch das Coaching war Neuland für ihn. „Hier bekommt jeder Schüler einen Coach an die Seite, der ihn bei seiner persönlichen Entwicklung unterstützt und ihn durch den Alltag und beim Erwachsenwerden begleitet“, erklärt Christoph Traut. Er selbst hat zwei Jahre lang als Coach Kinder betreut. Schweren Herzens hat er diese Aufgabe abgegeben – seitdem konzentriert er sich auf sein „Steckenpferd“. Damit meint er Scrum, eine Methode aus dem Projektmanagement, die engagierte Eltern der Hardtschule vorgeschlagen haben. Lehrkräfte entwickeln in Teams sogenannte digitale Lernlandschaften, die in einer Cloud gespeichert werden und dem gesamten Kollegium zur Verfügung stehen. „Damit wir die Lernlandschaften bauen können, müssen wir uns in den Fachteams richtig organisieren können. Mit Scrum haben wir die passende Organisationsform gefunden“, erklärt Christoph Traut, der die einzelnen Fachteams leitet. Er kann sich nicht vorstellen, an einer Schule zu arbeiten, die weniger agil und innovativ als die Hardtschule ist: „Ich bin längst mit dem Hardtvirus infiziert.“

Seit fünf Jahren ist die Hardtschule in Durmersheim nun eine Gemeinschaftsschule – im Schuljahr 2020/2021 wird ihr erster offizieller Jahrgang die Schule verlassen. Dazu zählt der 16-jährige Felix. Er besucht die Hardtschule seit der fünften Klasse. Eigentlich hatte Felix eine Empfehlung fürs Gymnasium. Doch dann landeten er und seine Eltern zufällig bei einem Informationsabend der Hardtschule. „Ich war das einzige Kind dort“, erinnert sich der Schüler. Das Konzept hat ihn sofort überzeugt. „Frei arbeiten, in meinem Tempo, auf gymnasialem Niveau – das war es, was ich wollte“, sagt Felix. Die Entscheidung für die Gemeinschaftsschule und gegen ein Gymnasium hat der Zehntklässler nie bereut. „Im Gegenteil. Ich schätze zum Beispiel die individuelle Lernzeit sehr. In den Kernfächern Mathematik, Deutsch und Englisch können wir machen, worauf wir Lust haben. Es kann sein, dass sich mein Sitznachbar mit einem ganz anderen Thema beschäftigt als ich“, erklärt er.

Felix würde am liebsten auch sein Abitur an der Hardtschule Durmersheim machen. „Ich bin vom Konzept der Gemeinschaftsschule überzeugt. Das eigenverantwortliche Lernen liegt mir einfach richtig gut“, sagt der 16-Jährige. Doch in Baden-Württemberg dürfen nur weniger als eine Handvoll Gemeinschaftsschulen zum Abitur führen, die Hardtschule zählt nicht zu ihnen. Trotzdem kommt für Felix ein normales Gymnasium nicht infrage. „Deshalb habe ich mich an der Alemannenschule Wutöschingen beworben“, erklärt Felix. Die Gemeinschaftsschule liegt 170 Kilometer weiter südlich an der Schweizer Grenze, ist Preisträger des Deutschen Schulpreises 2019 und bietet seit Kurzem eine gymnasiale Oberstufe an. Felix kennt in Wutöschingen niemanden, für ihn wäre der Umzug ein großes Abenteuer. Doch davor scheut er nicht zurück: „Ich habe gelernt, mich selbst zu organisieren. Ich werde auch diese Herausforderung meistern.“

Geschichten wie diese erfüllen Volker Arntz mit Stolz. „Es ist ein gutes Gefühl zu wissen, dass sich die Lehrkräfte und die Kinder bei uns wohlfühlen und am liebsten gar nicht gehen wollen“, sagt er und fügt nach einer kurzen Pause hinzu: „Wir sind ein verdammt cooler Laden.“

 

Deutscher Schulpreis 2020: Preisträger Hardtschule Durmersheim

Deutscher Schulpreis 2020: Preisträger Grundschule Schuttertal