Porträt

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Bunt, quirlig, überall ist etwas los – so beschreibt Claudia Müter den normalen Alltag an der IGS Lengede. Jetzt sitzt die Lehrerin allein im Klassenzimmer an ihrem Schreibtisch, vor ihr steht ein aufgeklapptes Notebook, daneben liegt ein braunes Kuscheltier. „Hallo, liebe Biber, hallo!“, ruft sie fröhlich und winkt mit dem Kuscheltier, einem Biber, in die Kamera ihres Notebooks. „Hallo!“, antworten die Kinder der fünften Klasse im Chor. Sie winken zurück, lachen und freuen sich, ihre Klassenlehrerin zu sehen.

Wie überall hat sich der Unterricht der IGS Lengede während der Pandemie in den digitalen Raum verlagert. Doch anders als bei vielen Schulen war hier schon die Infrastruktur für ein digitales Lehren und Lernen vorhanden. „Wir haben das Strategiepapier der Kultusministerkonferenz sehr, sehr ernst genommen“, sagt Kerstin Jasper, die didaktische Leiterin an der IGS Lengede. „Da war schon vor ein paar Jahren das Etablieren einer digitalen Lernumgebung gefordert. Das war ein wirklicher Glücksfall für uns, dass wir diese Umgebung schon fertig installiert hatten, als der erste Lockdown kam“, erklärt sie.

Die IGS Lengede im ländlichen Niedersachsen ist eine noch recht junge Schule. Seit der Gründung im Jahr 2010 arbeiten die rund 100 Lehrkräfte mit eigenen, von der Schule gestellten Notebooks. Auch die Schulverwaltung und das Schulmanagement sind weitgehend digitalisiert, ebenso wie alle schulischen Dokumente, der Großteil der schulischen Kommunikation und Information läuft digital. Die über 1.000 Schülerinnen und Schüler der Klassenstufen 5 bis 13 sind es gewohnt, Tablets oder Notebooks zum Lernen zu nutzen.

Dabei setzt die Schule auf das „Bring your own Device“-Modell. „Es ist völlig egal, mit welchem Gerät eine Schülerin oder ein Schüler in die Schule kommt, ganz gleich, wie viel es gekostet hat.“, sagt Kerstin Jasper. Vielfalt als Stärke – so steht es im Leitbild der IGS Lengede, und so sieht sie auch die vielen unterschiedlichen Endgeräte, mit denen die Kinder lernen, als Chance und nicht als Herausforderung. Damit alle gut lernen können, hat die Schule lediglich technische Mindestanforderungen festgelegt: Eine Tastatur ist wichtig, ebenso eine Bildschirmgröße von mindestens zehn Zoll. Mit diesem Ansatz verfolgt die Schule ihr Ziel der Chancengleichheit. Dabei kommt neben dem technischen auch der pädagogisch-didaktische Aspekt zum Tragen: Die Schülerinnen und Schüler arbeiten sowohl im Präsenz- als auch im Distanzunterricht an individualisierten und differenzierten Lernwegen, die sie entweder selbst wählen können oder die von den Lehrkräften vorbereitet werden.

Herzstück der Digitalstrategie ist das Lernmanagementsystem „itslearning“, eine Plattform, für die sich alle am Schulleben Beteiligten gemeinsam entschieden haben. Denn auf ihrem Weg zur Digitalisierung von Schule bezieht die IGS Lengede alle mit ein: Schülerinnen und Schüler, Eltern, Lehrkräfte, Schulleitung, Schulträger und Schulaufsicht. In der Pandemie arbeiten sie gemeinsam daran, die digitalen Kompetenzen der Lernenden und Lehrenden weiter zu stärken und die Unterrichtsqualität zu steigern. Die Schule ist überzeugt: Dafür braucht es eine Vielfalt passender Software. Zahlreiche weitere Anwendungen ergänzen das Lernmanagementsystem. Diese führt sie in einem digitalen, betriebssystemunabhängigen Werkzeugkasten zusammen: „L3KIDS“. Diesen Werkzeugkasten erreichen alle Schülerinnen und Schüler niedrigschwellig über einen zentralen Zugang, die unterschiedlichen Anwendungen sind mit kleinen, farbigen Symbolen dargestellt. Ein Klick auf das richtige Symbol genügt, um das passende Werkzeug zu öffnen. Ein Kriterienkatalog hilft den Lernenden, genau das Werkzeug auszuwählen, das sie in der jeweiligen Situation benötigen.
 

Schülerinnen und Schüler, Eltern, Lehrkräfte – sie alle sind hochzufrieden damit, wie der IGS Lengede das digitale Lernen und Lehren in Zeiten von Corona gelingt. Sie schafft es, ihren Jahresarbeitsplan im Distanzlernen fortzuführen und Hard- und Software optimal mit ihrem pädagogischen Konzept zu verbinden. Regelmäßig evaluiert die Schule ihre Maßnahmen und fragt die Kinder nicht nur nach ihrer Zufriedenheit, sondern auch danach, was sie benötigen und wie sich der Unterricht weiterentwickeln muss, damit sie noch besser lernen können. Die Ergebnisse nimmt die Schule ernst. Kinder, die in der Befragung angaben, sich zu Hause nur schwer konzentrieren zu können, bekommen einen eigenen Arbeitsplatz in der Schule. Die Schule hilft Familien, ihr WLAN zu verbessern. Schülerin Melina* ist begeistert davon, wie die IGS Lengede mit der Pandemie umgeht: „Ich möchte später auch einmal Lehrerin werden und nehme mir meine Lehrer als Vorbild. Sie haben in dieser Situation schnell gehandelt. Das nehme ich als Erfahrung mit in die Zukunft.“

* Name von der Redaktion

Deutscher Schulpreis 20|21 Spezial

Laudatio der Jury 2021

„Die Corona-Pandemie verstärkt das Problem der Bildungsungerechtigkeit!“ – die Akteure im Bildungssektor waren sich schnell einig. Gerade an Grundschulen hatten die Schulschließungen zur Folge, dass sich die Effekte der sozialen Disparitäten der Elternhäuser noch verschärften. Die Grundschule am Dichterviertel reagierte auf die Schulschließung mit dem Blick auf diese Realität und in bewusster Weiterführung ihres pädagogischen Leitbildes: „Gute Beziehungen sind die Basis erfolgreichen Lernens.“ Schon in den ersten Tagen nach dem Lockdown wurde alles darangesetzt, mit den Kindern in visuellem Kontakt zu bleiben.

Binnen kurzer Zeit wurde mit hohem Einsatz und viel Fantasie dafür gesorgt, dass jeder Haushalt mit einem entsprechenden digitalen Endgerät ausgerüstet war. „Wir mussten es leisten, dass wir die Kinder sehen.“„Das, was wir sonst leben, sollte mit ins Digitale genommen werden“ – so die Überzeugung des Kollegiums. Nicht „Arbeitsblattpakete“, mit denen Kinder und Eltern weitgehend allein gelassen wurden, sondern weiterhin durch die Lehrerinnen und Lehrer begleitete und gesteuerte Lern- und Bildungsprozesse ließen die Verantwortung im schulischen Geschehen und verlagerte sie nicht in die Elternhäuser mit ihren ungleichen Voraussetzungen. Auch das Soziale, der Freundschafts- und Klassenverband sowie die Elternkontakte erhielten weiterhin viel Raum.

So sind auch in dieser Zeit an der Grundschule am Dichterviertel die Menschen gewachsen: die Schülerinnen und Schüler in ihrer Selbstständigkeit, auf die sie sehr stolz sind; die Lehrerinnen und Lehrer in ihren digitalen Kompetenzen, deren Möglichkeiten sie weiter nutzen werden; die Eltern in ihrem Gefühl, dass eine solche Schule ihnen nicht eine weitere Last auf die Schultern legt, sondern sie ihnen nimmt und sie begleitet.

Hinweis:

Die Grundschule am Dichterviertel wurde bereits 2021 mit dem Deutschen Schulpreis 20|21 Spezial für ihre pädagogischen Konzepte in der Corona-Pandemie ausgezeichnet. Preisträger des Spezial-Jahrgangs konnten sich erneut für den Deutschen Schulpreis bewerben. Pandemiebedingt durchliefen diese Schulen ein anderes Auswahlverfahren, da insbesondere Unterrichtshospitationen der Jury nicht möglich waren.

Sendepläne und tägliche Lernreflexionen geben Halt

Reportage: Die Grundschule am Dichterviertel im Frühjahr 2021

 

„Mein Zahn ist gerade rausgefallen“, ruft Emma aufgeregt. Ihre Lehrerin Simone Schick reagiert sofort: „Echt? Zeig mal!“ Emma kommt ganz nah an die Kamera heran, öffnet ihren Mund und zeigt stolz die neue Zahnlücke. Ihre Klassenkameradinnen und -kameraden schauen gebannt auf den Bildschirm und inspizieren Emmas neues Lächeln. Begegnungen wie diese sind auch in der Pandemie Alltag an der Grundschule am Dichterviertel in Mülheim an der Ruhr. Sie arbeitet intensiv daran, dass die „Seele“ der Schule auch in diesen Zeiten für alle Mitglieder der Schulgemeinschaft spürbar ist.

Die „Seele“ der Schule – das heißt, dass die Grundschule am Dichterviertel eine Schule für alle Kinder ist, sie will jede Schülerin und jeden Schüler wachsen lassen. „Und zwar elternunabhängig“, betont Schulleiterin Nicola Küppers. Das Schulklima ist geprägt von Wertschätzung, individueller Zuwendung und einer guten, vertrauensvollen Beziehungskultur. Als Nicola Küppers 2013 die Leitung der Schule übernahm, wollte sie einen Ort schaffen, an dem Bildungsgerechtigkeit nicht nur ein Schlagwort ist, sondern wirklich gelebt wird und exzellente Leistungen für jedes Kind ermöglicht werden. Damals hatte die Schule keinen guten Ruf, es gab kaum neue Anmeldungen, die Lernstandsergebnisse lagen im Vergleich zu anderen Grundschulen deutlich unter dem Durchschnitt.

Heute ist die Grundschule am Dichterviertel sehr nachgefragt, ihre Leistungen sind überdurchschnittlich. Die Zahl der Schülerinnen und Schüler hat sich in den vergangenen Jahren verdoppelt – inzwischen lernen hier rund 200 Kinder. Mehr als zwei Drittel von ihnen kommen aus Familien mit einem Migrationshintergrund, viele beziehen Sozialleistungen. Die Grundschule hat sich zu einer Schule mit den Schwerpunkten Inklusion und Begabtenförderung entwickelt. Gelungen ist ihr diese Entwicklung vor allem über eine Verständigung auf Qualitätsstandards für den Unterricht.

Um Bildungsgerechtigkeit auch in der Pandemie zu sichern, überträgt die Grundschule ihr Konzept schnell und konsequent in den digitalen Raum und organisiert durchgängigen Unterricht. „Es galt, die Steuerung von Lernen nicht durch Arbeitspakete an die Eltern zu delegieren. Das ist die zentrale Stellschraube, um Bildungsbenachteiligungen in der Krise zu minimieren“, erklärt Nicola Küppers. Um allen Kindern einen Zugang zum digitalen Unterricht zu sichern, schafft die Schule kurzerhand weitere Endgeräte an, verleiht unbürokratisch die technische Ausstattung aus dem schulischen Bestand und verteilt WLAN-Guthaben an Familien. Ein digitaler Sendeplan mit einem Morgenkreis als Begrüßungsritual, individueller Lernwegsplanung, einer 15-minütigen Englisch-Time, Erklärvideos und Lernangeboten in allen Fächern leitet die Schülerinnen und Schüler durch ihren Tag, der nachmittags mit einer Lernwegsreflexion und einem Ausblick endet. Die verlässliche Struktur gibt den Kindern Halt. Sie arbeiten zu Hause mit Lernformaten wie Lernstraßen und Kompetenzrastern, die sie schon aus dem Präsenzunterricht kennen und die von den Lehrkräften für den digitalen Unterricht angepasst wurden. Die digitalen Lernwege mit selbst entwickelten Erklärvideos ermöglichen den Kindern ein selbstständiges Arbeiten. Während dieser Phasen ist eine Lehrkraft digital über Video erreichbar und hilft bei Fragen.

Auch die Klassenräte und das Schülerparlament setzt die Grundschule am Dichterviertel in der Pandemie fort. Die Kinder treffen sich in virtuellen Konferenzräumen und halten ihre Ideen und Pläne auf digitalen Pinnwänden fest. Für die Eltern erweitert die Schule die Begegnungs- und Austauschräume: Sie bietet digitale Sprechstunden an und streamt Elternabende live. Außerdem richtet sie einen mehrsprachigen Messenger ein, um die kontinuierliche Kommunikation zu den Familien sicherzustellen.

„Auch die soziale Komponente, die in Zeiten von Corona weggebrochen ist, konnten wir im digitalen Klassenzimmer auffangen. Das war unheimlich wertvoll“, sagt Lehrerin Daniela Schäfer. Engagiert arbeitet das Kollegium daran, die Beziehungen digital zu pflegen. So organisiert die Grundschule am Dichterviertel digitale Pyjama-Partys und initiiert die beliebte „Freundschaftsbank“. Kinder, die sich allein fühlen, können sich in diesem digitalen Raum einfinden, und andere Kinder gesellen sich zu ihnen. Mittels Live-Kameras nahmen die Schülerinnen und Schüler an digitalen Führungen durch Zoos auf der ganzen Welt teil oder besuchten ein Planetarium. Damit gelingt es Nicola Küppers und ihrem Team, die Kinder wenigstens virtuell aus ihrer häuslichen Enge zu holen: „Wenn die Kinder die Welt nicht erreichen, holen wir die Welt in die Schule.“

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Ein riesiger Osterhase zieht einen Bollerwagen voller Süßigkeiten durch die menschenleeren Straßen im Hamburger Stadtteil Dulsberg. Ein großes gelbes Küken begleitet ihn und hüpft neben ihm her. Es ist Ostern 2020, mitten im ersten Lockdown. Der Osterhase reicht Schokolade über die Balkonbrüstungen, winkt den Familien zu, die am Fenster stehen, lacht und posiert für Selfies. Im Osterhasenkostüm steckt Björn Lengwenus. Er ist Schulleiter der Grund- und Stadtteilschule Alter Teichweg.

Wenn seine Schülerinnen und Schüler ihn brauchen, ist Björn Lengwenus mit Herzblut und vollem Einsatz zur Stelle. Für ihn ist Bildung „so wahnsinnig viel mehr als nur Deutsch, Mathe, Englisch“. Die Grund- und Stadtteilschule Alter Teichweg ist eine Heimat. Eine Heimat für 1.600 Kinder und Jugendliche aus 86 Nationen, die mit und ohne Behinderung gemeinsam lernen. Die Schule im sozial schwachen Hamburg-Dulsberg ist eine Schwerpunktschule der Inklusion und zugleich Hamburgs einzige „Eliteschule des Sports“ mit 300 Hochleistungsathletinnen und -athleten. „Hier kommen Schüler in die Schule, deren einziger verlässlicher Punkt am Tag die Schule und der Unterricht ist, die ihre Heimat manchmal weit weg von der wahren Heimat hier in dieser Schule haben“, sagt Björn Lengwenus und ergänzt: „Als der Lockdown kam, hatten wir Riesenangst davor, dass all die Strukturen wegbrechen.“ Die Haltung, die sein pädagogisches Handeln prägt – Schule ist Heimat –, wird von der gesamten Schule getragen und gelebt. Ihr oberstes Ziel war es, während der Schulschließungen und über das Lernen hinaus Heimat zu bleiben für alle Mitglieder der Schulgemeinschaft. Trotz der sozialen Isolation wollte sie ein Gemeinschaftsgefühl für die Kinder und Jugendlichen schaffen – ein Gedanke, der sich auch im Schulmotto „Be Part“ wiederfindet.

Schnell ist es dem engagierten und flexiblen Kollegium gelungen, den Unterricht online zu gestalten, sodass sich das Team darauf konzentrieren konnten, die gute Beziehungskultur zu stärken und auszubauen. Unterstützung bekamen es von den rund 100 Honorarkräften der Schule, die zum Beispiel in der Schulbegleitung oder in der Sprach- und Lernförderung tätig sind. Sie übernahmen im Lockdown neue Aufgaben. Ziel war es, täglich zu allen Schülerinnen und Schülern Kontakt zu haben. Ein Krisenteam besuchte Kinder und Jugendliche in schwierigen Situationen und machte mit ihnen „Unterricht am Fenster“. Honorarkräfte nahmen per Telefon Kontakt zu den Schülerinnen und Schülern auf und lasen ihnen Geschichten vor. Ein Team aus 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern richtete eine Poststelle in der Schule ein, verpackte differenzierte Arbeitsmaterialien und lieferte mit dem Bollerwagen im Stadtteil sechs Wochen lang täglich rund 200 bis 600 Lernpakete für Kinder aus, deren Elternhaus für das Homeschooling nicht ausreichend technisch ausgestattet war. Auch das kostenfreie Schulessen hatte das Post-Team „to go“ dabei, um es bei Bedarf zu verteilen.

Herzstück der Beziehungsarbeit in den vergangenen Monaten war die YouTube-Show „Dulsberg Late Night“. Björn Lengwenus funktionierte kurzerhand die Turnhalle um und richtete gemeinsam mit seinem Team ein Studio ein. Von hier aus produzierten sie täglich eine Sendung – mit dem Schulleiter als Showmaster. „Wenn die Kinder nicht zu uns kommen können, kommen wir eben zu ihnen“, erklärt Lengwenus. Die Stars der Sendung waren die Schülerinnen und Schüler selbst: Sie sendeten Videobotschaften, nahmen an Challenges teil oder berichteten aus ihrem Alltag. So möchte die Schule ihr Motto verstanden wissen: „Be Part“ ist mehr als eine Haltung. Die Kinder und Jugendlichen sollen nicht nur die Chance haben, an etwas teilzunehmen – sie sollen wirklich Teil der Schule sein und sie aktiv mitgestalten.

Das gilt für alle Mitglieder der Schulgemeinschaft. Die Grund- und Stadtteilschule setzt auf eine hochwertige Beziehungsgestaltung auf allen Ebenen und führte dies in der Pandemie fort. Das zahlt sich aus: Das Kollegium bildete im Lockdown ein starkes Team. Fundament dafür waren das wertschätzende und achtsame Miteinander sowie bereits zuvor etablierte Strukturen wie die „Achtsamkeitspaten“, eine „Afterwork-Kultur“ oder die „Unfug-AG“. Auch die Elternbeteiligung ist seit dem Lockdown deutlich gestiegen. Erstmals seit vier Jahren konnten alle Elternratsplätze besetzt werden. In der Corona-Zeit öffnete sich die Schule noch stärker für die Nachbarschaft und konnte so ihre Bindung zum Stadtteil vertiefen.

Nun arbeitet die Schule daran, die neuen Impulse der vergangenen Monate aufzunehmen. So hat Björn Lengwenus längst den Staffelstab für die „Dulsberg Late Night“ an die Schülerinnen und Schüler weitergegeben, die jetzt selbst Sendungen produzieren. Für die Grund- und Stadtteilschule Alter Teichweg war die Pandemie mehr Chance als Krise: „Dieses Jahr hatte ja auch viele gute und coole Momente. Die Schule hat gelebt“, sagt Björn Lengwenus.

Deutscher Schulpreis 20|21 Spezial: Preisträger IGS Lengede

Deutscher Schulpreis 20|21 Spezial: Preisträger Städtische Gesamtschule Münster-Mitte

Deutscher Schulpreis 20|21 Spezial: Preisträger Evangelisches Gymnasium Nordhorn

Deutscher Schulpreis 20|21 Spezial: Preisträger Grund- und Stadtteilschule Alter Teichweg

Deutscher Schulpreis 20|21 Spezial: Preisträger Grundschule am Dichterviertel

Deutscher Schulpreis 20|21 Spezial: Preisträger Städt. Gesamtschule Körnerplatz

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Schuttertal liegt mitten im Schwarzwald, umgeben von Wiesen und Bergen. Nur knapp 3.200 Menschen wohnen in der kleinen baden-württembergischen Gemeinde, zu der drei Ortsteile gehören: das namensgebende Schuttertal, Dörlinbach und Schweighausen. Susanne Junker kann sich noch gut an einen Satz erinnern, den ihr der Schulrat bei ihrer Einstellung mit auf den Weg gegeben hat: „Sie dürfen zukünftig dort unterrichten, wo andere Urlaub machen.“ Alle drei Dörfer sind mit dem Prädikat „Erholungsort“ ausgezeichnet.

Susanne Junker leitet  die Grundschule der Gemeinde, zu der drei Standorte zählen: Die Stammschule befindet sich im Ortsteil Schuttertal, die zwei Außenstellen liegen in Dörlinbach und Schweighausen – und das, obwohl hier jeweils weniger als 1.000 Menschen leben. 13 Lehrerinnen und insgesamt 130 Schülerinnen und Schüler gehören zur Grundschule Schuttertal. Die Kinder kennen sich, manchmal besuchen Cousins und Cousinen dieselbe Klasse, in der jahrgangsübergreifend unterrichtet wird. „Deshalb sprechen wir von Familienklassen“, sagt Susanne Junker. Ihr und ihren Kolleginnen ist es wichtig, dass Kinder, die sich von Geburt an kennen und in einem Dorf aufwachsen, auch zusammen in einer vertrauten Umgebung lernen können und einen kurzen Weg zur Schule haben. Das gilt für alle Kinder, die im Schuttertal zu Hause sind. „Wir sind der Überzeugung, dass Inklusion an Grundschulen eine Selbstverständlichkeit ist“, sagt Susanne Junker.

Dieser Anspruch spiegelt sich im Leitbild der Grundschule Schuttertal wider: „Hier wachsen wir gemeinsam.“ Der Grundsatz zieht sich durch alle Bereiche des Schullebens. „Zu unserer großen Lerngemeinschaft gehören die Schülerinnen und Schüler, die Lehrerinnen, die Eltern, der Hausmeister, die Reinigungskräfte – eben alle, die am Schulleben beteiligt sind. Wir sind alle ein Team“, erklärt Susanne Junker, die mit ihrem Kollegium darauf achtet, dass die Grundschule Schuttertal ein gutes Beisammensein und ein wertschätzendes Miteinander ermöglicht. „Außerdem wächst jeder von uns an seinen Aufgaben – nicht nur die Schülerinnen und Schüler, sondern auch wir Lehrkräfte. Es gibt immer wieder neue Felder, in die wir uns einarbeiten wollen. Wir sehen uns als eine Gemeinschaft, die gemeinsam wächst“, sagt die Schulleiterin.

Zu einem der neuen Felder zählt das Projekt „Philosophieren mit Kindern“. Seit Kurzem ist die Schule die erste zertifizierte „Philosophierende Grundschule“ in Baden-Württemberg. Über das Schulentwicklungsprojekt „Ortenauer Weg“ ist die Grundschule Schuttertal auf dieses Konzept aufmerksam geworden. Das Netzwerk unterstützt Schulen in der Region vor allem dabei, außerschulische Partner und Lernorte einzubinden. Wann immer es möglich ist, versucht die Grundschule Schuttertal, die Umgebung mit in den Unterricht einzubeziehen. „Wir gehen in den Wald und setzen dort Projekte um. Oder wir besuchen regelmäßig den Bauernhof in der Nachbarschaft“, sagt Susanne Junker. Warum aber Philosophie? „Das passt einfach zu uns“, sagt sie, „denn wir betrachten ein Kind in seiner ganzen Einzigartigkeit und versuchen, seine Stärken und Schwächen zu fordern und zu fördern.“ Für den Unterricht bedeutet das zum Beispiel, dass die Kinder mit den sogenannten Lernspuren arbeiten, die die Grundschule Schuttertal für die Fächer Mathematik und Deutsch entwickelt hat. Die Lernspuren ermöglichen, dass Kinder individuell gefördert werden und in ihrem Tempo auf ihrem Niveau arbeiten. Im dazugehörigen Lernspurenheft können die Kinder dokumentieren, welche Kompetenzen sie erworben haben. „Mit dem Philosophieren bekommen wir noch mal einen viel intensiveren Eindruck von der Individualität unserer Kinder“, sagt Susanne Junker.

Philosophie steht deshalb nicht auf dem Stundenplan. Vielmehr versuchen die Lehrkräfte das Instrument Philosophieren immer dann einzusetzen, wenn Kinder Fragen zu Themen haben, die in diese Richtung abzielen. „Es ist erstaunlich, wie tiefgründig die Gedanken sind, die die Kinder äußern, und mit welcher Ernsthaftigkeit sie existenzielle Fragen betrachten“, erzählt die Schulleiterin. Sie erlebt immer wieder, wie sehr es die Kinder genießen, dass diese Gespräche nicht zweckorientiert sind. „Durch diese Freiheit lernen wir uns viel besser kennen“, sagt Susanne Junker und fügt hinzu: „Das Philosophieren ist ein unglaublich guter Baustein für demokratisches Lernen. Wenn wir den anderen besser verstehen, sind wir auch toleranter.“ Dass die Schule mit ihrem Philosophie-Konzept auf dem richtigen Weg ist, fühlt Susanne Junker: „Manchmal denke ich, dass wir jetzt eine authentische, echte Auseinandersetzung haben, die uns zusammenschweißt. Dann weiß ich: Ja, das ist es wert.“

Auch ihre Kollegin Ute Brand sieht einen großen Gewinn darin: „Das Philosophieren hilft den Kindern, ihre Gedanken zu formulieren und eine eigene Meinung zu äußern. Eine Kompetenz, die sie in der heutigen Welt brauchen.“ Ute Brand ist Hausleiterin und damit Ansprechpartnerin für die Schulleitung am Standort Dörlinbach. Das Schulhaus mit Schulgarten und Spielplatz liegt mitten im Dorf, stammt aus den 1960ern-Jahren und war ursprünglich als Grund- und Hauptschule konzipiert. Heute lernen dort die Kinder der Regenbogen- und der Drachenklasse. „Wir haben wirklich viel Platz und sogar eine Küche, die wir nutzen können“, sagt die Lehrerin. Die Tage, an denen es Müsli statt Vesper gibt, mag die 10-jährige Ava am liebsten. „Einmal im Monat können wir in der Schulküche unser Müsli mit frischem Obst in der Schulküche selbst zusammenstellen“, sagt die Schülerin der Regenbogenklasse und ergänzt: „Noch viel toller ist aber, dass wir so viel frei arbeiten dürfen.“ Am wöchentlich stattfindenden Thementag arbeiten Ava und die anderen Kinder den ganzen Vormittag an einem festgelegten oder selbstgewählten Thema. Damit wird vor allem der Sachunterricht abgedeckt, aber auch Kunst und Musik werden einbezogen. „Wir haben uns zum Beispiel drei Wochen lang mit der ‚Zauberflöte‘ beschäftigt“, erzählt Ava. „Damit jedes Kind im Laufe seiner Grundschulzeit jedes Thema einmal bearbeiten kann, haben wir eine Vier-Jahresplanung für die Thementage“, erklärt Avas Lehrerin Ute Brand.

Im fünf Kilometer entfernten Schweighausen arbeitet Ute Brands Kollegin Marion Wenglein. Sie ist vor 15 Jahren mit ihrer Familie nach Schweighausen gezogen, ihre Tochter besuchte die Grundschule im Ort. „Dann habe ich hier eine Stelle bekommen. Das war eine glückliche Fügung, denn ich möchte dort Lehrerin sein, wo ich auch wohne“, sagt sie. Seit 2005 hat sich die Schule ziemlich verändert: „Damals war es noch mehr ein Arbeiten in den einzelnen Schulhäusern. Es gab zum ersten Mal eine gemeinsame Schulleitung, aber man hat sich natürlich einander annähern müssen“, erinnert sie sich. Heute arbeiten die Lehrkräfte in der Regel immer noch standortgebunden. „Wenn die Kolleginnen zwischen den Häusern hin- und herfahren müssen, ist das ein Aufwand für sie und bedeutet Unruhe für die Kinder“, erklärt Susanne Junker. Dennoch hat sich in den vergangenen Jahren das Zusammengehörigkeitsgefühl immer weiter gefestigt. „Wir haben zum Beispiel viele Fortbildungen gemeinsam absolviert“, sagt Marion Wenglein. Auch regelmäßiger Austausch trägt dazu bei, dass die drei Standorte zu einer Schule zusammenwachsen. Immer donnerstags trifft sich Susanne Junker mit dem gesamten Team, um Organisatorisches zu besprechen und pädagogische Themen weiterzuentwickeln. Kinder erleben die Gemeinschaft bei der jährlichen Sternwanderung: Dann wandern die Schülerinnen und Schüler von zwei Standorten zum dritten Haus und werden dort mit einem Picknick begrüßt.

Für Ava ist es das letzte Schuljahr an der Grundschule Schuttertal, nach dem Sommer wird sie ein Gymnasium besuchen. Sie freut sich auf die Umstellung, aber ein bisschen vermissen wird sie die Regenbogenklasse schon, glaubt Ava. „Auch das Philosophieren wird mir fehlen. Ich denke gern über interessante Fragen nach“, sagt sie. Was Glück für sie heißt? „Glück kann man beim Kartenspielen oder Würfeln haben. Aber für mich bedeutet Glück, wenn man mit seinen Freunden zusammen ist und gemeinsam lernt, lacht und sich einfach gut fühlt.“