Porträt
Justyna Cylkowska hat sich ihr erstes Jahr als Lehrerin an der Gesamtschule Körnerplatz in Duisburg sicher anders vorgestellt. Statt ihre neuen Kolleginnen und Kollegen jeden Morgen in der Schule zu treffen, sich mit ihnen auszutauschen und ihnen im Laufe des Schultages immer wieder zu begegnen, arbeitete sie in den vergangenen Monaten meist von zu Hause aus. „Ich bin hier mitten im Lockdown eingestiegen, und das eigentliche Kennenlernen fand in Distanz statt“, sagt die Lehrerin. Dennoch hat sie es geschafft, sich in das über 80-köpfige Team zu integrieren, ihren Platz zu finden und zu einem wichtigen Teil eines großen Ganzen zu werden. „Da war von Anfang an nicht nur eine professionelle Beziehung, sondern auch eine Art und Weise von persönlicher Beziehung“, erklärt Justyna Cylkowska.
„Uns ist es gelungen, Nähe herzustellen. Und das ist sehr besonders, glaube ich“, sagt Schulleiterin Martina Zilla Seifert. Die Gesamtschule Körnerplatz ist eine teamorientierte Schule, die sich durch eine offene Willkommenskultur aller am Schulleben Beteiligten auszeichnet. Mit Teambildungsprozessen, der Verankerung fester Teamzeiten im Stundenplan und einer Beratung durch multiprofessionelle Teams werden neue Kolleginnen und Kollegen, zu denen auch viele Seiteneinsteigerinnen und -einsteiger gehören, in die Schule eingebunden. Wer an der Gesamtschule Körnerplatz unterrichten möchte, muss die Bereitschaft zur Teamarbeit mitbringen. Denn ausnahmslos alle Kolleginnen und Kollegen bewegen sich in Teamstrukturen. So hat zum Beispiel jede Klasse zwei Klassenleitungen. Auch Lehrkräfte zwei verschiedener Klassen arbeiten in Doppelteams zusammen, um sich regelmäßig über die Unterrichtsentwicklung auszutauschen.
Die systematische Teamarbeit und ihre fest etablierten Strukturen sind das Fundament der Gesamtschule Körnerplatz, die sich in einer herausfordernden Lage befindet. Sie ist aus der erst 2015 gegründeten Sekundarschule Rheinhausen hervorgegangen. Weil alle anderen Schulen in der Nachbarschaft das Abitur anbieten, kämpfte die Schule darum, Gesamtschule zu werden, um sich nicht zu einer „Rest-Schule“ zu entwickeln und auch eine gymnasiale Oberstufe aufbauen zu können. Die Hälfte der Kinder, die die Gesamtschule besuchen, lebt in Familien, die Sozialleistungen beziehen. Rund 70 Prozent der mehr als 900 Schülerinnen und Schüler haben einen Migrationshintergrund. 120 Kinder und Jugendliche sind aus syrischen Kriegsgebieten geflüchtet, viele von ihnen traumatisiert.
Als die Schule im März 2020 erstmals schließen musste, war die Ausgangssituation schwierig. „Auf dem Spiel stand, dass wir reihenweise die Kinder verlieren“, sagt Martina Zilla Seifert. Bis heute haben viele Kinder keine technische Ausstattung, in zahlreichen Elternhäusern gibt es kein WLAN. „Das war eine Katastrophe“, erinnert sich die Schulleiterin und fügt nach einer kurzen Pause hinzu: „Aber irgendwie nur zwei Tage. Und dann haben wir uns aufgemacht.“
Aufgemacht – das heißt, die vielfältigen Teams, zu denen neben den Klassenleitungen und Doppelteams in den Jahrgängen zum Beispiel auch zwei Steuergruppen, ein multiprofessionelles Team, Beratungsteams oder der „LehrerInnenRat“ gehören, haben systematisch und engagiert daran gearbeitet, die Herausforderungen der Pandemie zu meistern. Sie wollen Kontakt zu allen Kindern halten und die vier Säulen ihrer Schule in den Distanzunterricht übertragen: Lernen durch Kooperation, interkulturelles Lernen, fächerübergreifendes Lernen und die kritische Auseinandersetzung mit gängigen Leistungsbewertungskonzepten.
Dafür behält die Schule ihre Teamstrukturen und die damit verbundenen Rituale und Mechanismen bei. So beginnen beispielsweise alle Teamsitzungen, die nun meist als Videokonferenzen stattfinden, mit einem Warm-up, auch wenn die Zeit noch so knapp ist. „In diesen Sitzungen tauschen wir uns aus, über Didaktik, über Methodik, aber auch darüber, wie es den Schülerinnen und Schülern geht und wie wir das kooperative Lernen überhaupt in den digitalen Raum bekommen“, erklärt Justyna Cylkowska, die in der Steuergruppe „Oberstufe“ mitarbeitet. Jede und jeder bekäme die Chance, sich einzubringen, alle lernen von- und miteinander. „So professionalisiert sich das ganze Team“, sagt sie.
War das Teammodell der Gesamtschule Körnerplatz schon vor der Pandemie ein wirksames Unterstützungsinstrument im pädagogischen Alltag, so ist es in der Pandemie die Rettung. Die Erfahrungen des vergangenen Jahres haben Schulleiterin Martina Zilla Seifert stolz auf das gemeinsam Erreichte gemacht. Sie sagt: „Wir hatten uns, die Kreativität aller, die hohe Bereitschaft, sich zu engagieren, und die feste Absicht, keinen einzigen Menschen an dieser Schule verloren zu geben.“