Selbstorganisiertes Lernen und schulweites Coachingangebot am Joseph-DuMont-Berufskolleg

 

Lerntheoretisch anspruchsvoll, bildungswissenschaftlich fundiert: Am Kölner Joseph-DuMont-Berufskolleg lernen die Schüler:innen in wertschätzender Atmosphäre selbstorganisiert, stressfrei und praxisnah. Wie Jurymitglied Thomas Häcker die Schule und den Unterricht vor Ort erlebte, schildert er im Interview.

Herr Häcker, Ihr Besuch am Joseph-DuMont-Berufskolleg (JDBK) startete mit einem besonderen ersten Eindruck. An einer Wand im Eingangsbereich steht in großen Lettern der Artikel 1 des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Inwieweit war diese Haltung vor Ort spürbar?
Wir haben durchgängig und zwischen allen Mitgliedern der Schulgemeinschaft eine sehr respektvolle, wertschätzende sowie konstruktive Kommunikation auf Augenhöhe erlebt. Das hat uns sehr beeindruckt.

Am JDBK gibt es weder eine Schulordnung noch einen Gong. Stattdessen ist Selbstorganisation Bestandteil der Schulphilosophie. Wie zeigt sich das im Schulalltag?
In Gang gekommene Lern- und Erkenntnisprozesse können hier in Ruhe beendet werden. Niemand muss auf einen Klingelton hin zur nächsten Stunde eilen. Das wird durch eine flexible Zeiteinteilung im Rahmen des selbstorganisierten Lernens ermöglicht: Die Schüler:innen eignen sich ihr Wissen selbst und aktiv an, ganz im Sinne eines konstruktivistischen Lernverständnisses.

Was bedeutet das konkret?
Unterricht verläuft hier berufs- und realitätsnah. Problemorientierte Aufgabenstellungen werden durchgängig nach der Think-Pair-Share-Methode bearbeitet. Das heißt: Die Schüler:innen setzen sich mit einer Aufgabe auseinander, tauschen sich dann mit eine:r Mitschüler:in und schließlich in der gesamten Gruppe aus. Das ist ein sehr professionelles Grundgerüst fürs Lernen, weil es eine tiefe kognitive Verarbeitung sichert, die zudem von Lehrkräften als Expert:innen vielfältig konstruktiv unterstützt wird. Ein schulinternes Kompetenzteam entwickelt hierfür Materialien und Lernarrangements, die den Lehrenden digital zur Verfügung stehen. Diese werden mittels transparenter Zielvereinbarungen in den einzelnen Bildungsgängen durch ein permanentes Qualitätsmanagement gesteuert. Kompetenzraster – sie heißen hier Kann-Listen – bieten den Lernenden Orientierung und Transparenz. Das wird sehr geschätzt.

Wie wirkt sich das auf die Schüler:innen aus?
Die Kann-Listen helfen ihnen, zu sehen, wo sie im Lernprozess gerade stehen und welcher Lernschritt der nächste ist. Weil die Bewertungskriterien so transparent sind, empfinden die Schüler:innen – anders als in ihren vorherigen Schulen – kaum Stress oder Leistungsdruck. Das wurde in Gesprächen deutlich.

Wovon waren Sie während Ihres Besuches beeindruckt?
Der Bildungsgang „Kaufleute für audiovisuelle Medien“ produziert jedes Jahr einen Abschlussfilm auf Kinoniveau und führt die gesamte Filmproduktion selbst durch. Auf die Frage, welchen Titel das JDBK tragen würde, wäre es ein Film, war die Antwort: „Fall in love with future.“ Eine Mischung aus Liebesfilm und Komödie. Eine treffendere Selbstbeschreibung gibt es kaum.

Was ist an dieser Schule besonders innovativ?
Über eine verbindliche Lernberatung hinaus gibt es hier, strukturell verankert, ein breites professionelles Lerncoachingangebot, das Schüler:innen bei Lernschwierigkeiten unterstützt. Die anspruchsvolle, wissenschaftlich fundierte Arbeit am JDBK wird zudem konsequent durch ein Qualitätsmanagement überprüft und gesteuert. Jeder Bildungsgang trifft Zielvereinbarungen mit der Schulleitung. Diese sind für alle einsehbar und werden von einem Kompetenzteam durchgängig evaluiert.


Inwieweit sind diese Konzepte wirksam?
Es gibt gute Vermittlungs- und Abschlussquoten. Diese sind in der jährlichen Statistik der Industrie- und Handelskammer belegt: 2023 gab es in acht von 13 Bildungsgängen eine fast immer 100-prozentige Bestehensquote. In Gesprächen mit Kooperationspartnern wurde klar, dass diese mit der Ausbildungsqualität sehr zufrieden sind. Das Unternehmen Procar gründete in Köln sogar eine WG, um alle NRW-weit tätigen Azubis am JDBK unterzubringen.

Was können andere Schulen vom JDBK lernen?
Es lohnt sich, das eigene Tun systematisch in den Blick zu nehmen. Und zwar durch ein Qualitätsmanagement, das ressourcen- und lösungsorientiert vorgeht. Andere Schulen können lernen, wie man wertschätzend, auf Augenhöhe und in flachen Hierarchien mithiIfe von Zielvereinbarungen systematisch an der Weiterentwicklung der Qualität von Unterricht arbeiten kann.

 

Zur Person
Thomas Häcker ist Professor für Erziehungswissenschaft an der Universität Rostock und Gründungsdirektor des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung.