Vielfalt, Wertschätzung und aktive Beziehungsarbeit an der Friedenauer Gemeinschaftsschule
Eine Schule, die Leidenschaften fördert: An der Friedenauer Gemeinschaftsschule in Berlin stehen die Kinder und Jugendlichen im Mittelpunkt. Dort lernen sie leistungsorientiert und im eigenen Tempo. Was das im Schulalltag bedeutet, berichtet Jurymitglied Udo Michallik.
Gemeinsam leben, gemeinsam lernen – dieses Motto wird an der Friedenauer Gemeinschaftsschule (FGS) in Berlin wörtlich genommen. 2012 aus der Fusion dreier Schulen hervorgegangen, lernen dort aktuell 1.141 Kinder und Jugendliche – bis zur 9. Klasse sogar mit Jahrgangsmischung.
Das erklärte Ziel der Schulleitung und der 133 Lehrkräfte: An der FGS wird jedes Kind wertgeschätzt, gefordert und gefördert. So sollen alle im Bildungsverlauf den für sie bestmöglichen Abschluss finden, der nicht zwangsläufig das Abitur sein muss. Eine Haltung, die ankommt. Im Gespräch sagte ein Mädchen: „Die Friedenauer Gemeinschaftsschule ist eine Schule, die unsere Leidenschaften fördert.“ Es ist spürbar, wie stolz die Kinder auf ihre Schule sind, einige empfehlen sie sogar im Freundeskreis weiter.
Aktive Beziehungsarbeit im Klassenraum
Trotz der Schulgröße sind die individuellen Bedürfnisse jedes Kindes Kern der pädagogischen Arbeit. Im Schulalltag ist eine beeindruckende, aktive Beziehungsarbeit zu beobachten. Die Lehrkräfte sind sehr aufmerksam und jede Lehrperson kann etwas zum biografischen Hintergrund der Kinder sagen.
Diese Haltung zeigt sich auch im Unterricht. Jedes Kind hat einen persönlichen, altersunabhängigen Lernweg, lernt selbstständig im eigenen Tempo und in jahrgangsübergreifenden Lerngruppen. Bis zur 8. Klasse gibt es keine Noten, sondern kompetenzorientierte Rückmeldungen. Regelmäßiges Feedback sowie halbjährliche Bilanz- und Zielgespräche ermöglichen Eltern und Kindern Orientierung und Selbstreflexion. Im Unterricht der Hauptfächer wechseln sich klassische Instruktionsphasen mit Gruppenarbeit sowie projekt- und themenorientiertem Arbeiten ab. Die hohe Unterrichtsqualität zeigt sich durch intensive fachliche Arbeit der Schülerschaft mit einer hohen aktiven Lernzeit.
Die Schule bietet viele Kurse an, die sowohl mit dem Unterricht verknüpft als auch Teil des teilgebundenen Ganztagesangebots sind. Die Begabungsförderung kann dabei stufenübergreifend stattfinden. Besonders ist auch das Angebot „Produktives Lernen“, das in Kooperation mit der Alice Salomon-Hochschule Berlin angeboten wird. Es wirkt als Brücke in die reguläre Schulwelt hinein und beugt so Schulabsentismus vor. In den Stufen 9 und 10 absolvieren die Jugendlichen dazu Praktika, bei denen sie die Stelle selbst suchen. Das soll ihnen helfen, den Sinn des Lernens besser zu verstehen. Die Praxiserfahrungen werden zur Basis ihres Bildungsprozesses.
Vielfalt und ein hoher Anspruch
Ebenso vielfältig wie die Möglichkeiten und Lehrmethoden ist auch die Schulgemeinschaft selbst. Dort werden 22 Sprachen gesprochen. 61 Prozent der Schülerschaft sind nichtdeutscher Herkunftssprache. 64 Prozent haben eine Lernmittelbefreiung, 10 Prozent haben einen anerkannten sonderpädagogischen Förderbedarf, wobei deutlich mehr eine spezifische Förderung erhalten.
Vielfalt gehört ebenso zur FGS wie der hohe Anspruch an eine kontinuierliche Unterrichtsentwicklung und die Sicht auf Schule als lernende Institution. Eine Lehrerin sagte: „Als Kollegium sind wir uns nie gut genug!“ Systematisch wird an der FGS nach Wegen gesucht, das Schulprogramm immer weiter zu optimieren. Unterrichtsmaterialien werden gemeinsam erarbeitet und allen zugänglich gemacht. Teilaspekte der Unterrichtsentwicklung werden wissenschaftlich begleitet. Im Schulalltag ist die Fortentwicklung in Gremien wie Klassen- und Elternvertretungen fest verankert. Auch die Mitwirkung der Kinder und Jugendlichen wird großgeschrieben und reicht bis in die Gestaltung der Unterrichtskonzepte auf Fachkonferenzen hinein.
Gemeinsam Schule zu gestalten und der Wille, für die Lernenden das Beste zu geben, das zeichnet die FGS aus. Dass die gewählten Konzepte wirken, zeigt ein Blick in die Abschlussstatistik: So verließ beispielsweise kein Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf die Schule ohne Abschluss. Hervorhebenswert ist außerdem die Zahl derjenigen, die nach der Grundschulzeit, die in Berlin auch die 5. und 6. Klasse umfasst, an der FGS weiterlernen. Viele Kinder mit Gymnasialempfehlung wechseln dann in der Regel auf ein Gymnasium – an der FGS bleiben sie. Im Schuljahr 2023/24 gingen 72 Prozent der Lernenden in Klasse 7 über, zum kommenden Schuljahr 2024/25 wird ein ganzer Jahrgang in die 7. Klasse wechseln.
Zur Person
Udo Michallik ist Generalsekretär der Ständigen Konferenz der Kultusminister in der Bundesrepublik Deutschland.